Arge Ja zur Umwelt, Nein zur Atomenergie



Biobauernhof Polzer: Kompost für die Pflanzen, Anerkennung, Achtung, Liebe für die Menschen. Eine Rezeptur zur Glückseligkeit

Alfred Polzer - ein Biobauer der Herzen

Der Hof des Biobauern Alfred Polzer liegt im Südosten Wiens, in der Lobau. Durch die Bäume und Büsche entlang der schmalen Straße sehen wir immer wieder das Wasser eines alten Donauarms grün in der Sonne blitzen: Erinnerung an eine Zeit, in der die Donau noch unreguliert sich ihren eigenen Weg durch die Ebene fand, in Schlaufen, um Inseln herum und mit zahlreichen Nebenarmen.

Herr Polzer, ein gemütlich wirkender Mittsechziger, empfängt uns freundlich. Während wir uns über hausgemachten Hollundersaft und Mehlspeisen hermachen, erzählt er uns, wie er zum biologischen Landbau gekommen ist. Der Auslöser für die Umstellung des Betriebes war ein traumatisches Erlebnis. Herr Polzer hatte eines Tages in seinem Glashaus eine Überdosis Schädlingsbekämpfungsmittel eingeatmet und war bewußtlos zusammengefallen. „I hab eh die Masken aufghabt, aber hab halt den Filter scho lang nimmer gwechselt ghabt...“ Metasystox hat blutverdickende Wirkung. Polzer wurde noch rechtzeitig gefunden und ist mit dem Leben gerade noch davon gekommen. Nach einer langwierigen Gesundungssphase war für ihn klar, das er mit dem Gift nie wieder zu tun haben wollte. „Ja, das war 1970, damals war das alles noch ziemlich neu und wir sind eher belächelt worden, als wir umgestellt haben...“

Wie wird er nun ohne Chemie mit Pflanzenkrankheiten und Schädlingen fertig? „Das Geheimnis ist: der Boden muß wieder gesund werden. In einer Handvoll chemisch gedüngter Erde leben  nur 2 Milliarden Mikroorganismen, in biologisch bearbeitetem, gesunden Boden aber 30 Milliarden. Ein gesunder Boden ist auch wie ein Badeschwamm, er kann eine große Menge Feuchtigkeit aufnehmen, fünf Mal so viel wie chemisch bearbeiteter Boden.“ Deshalb haben Polzers Pflanzen auch die lange Dürreperiode im vergangenen Mai gut überstanden, während es im nahen Marchfeld, wo die Böden durch jahrzehntelangen Überdüngungs- Raubbau schon ganz dünn sind und stark geschädigt, hohe Verluste gab. (Daß die Herstellung des schädlichen Kunstdüngers zusätzlich viel Energieeinsatz erfordert und wertvolle Rohstoffe verschlingt, für 1m³ Stickstoff z.B. 2 Tonnen Erdöl, verschlechtert die Ökobilanz nochmals.)

Wie kann man einen kranken Boden wieder gesund werden lassen? „Man muß wieder was auftragen, ein Kompost muß drauf.“ Tierstroh, Ernterückstände, andere organische Abfälle, ja selbst von Krankheiten befallene Pflanzen, alles kommt auf den Komposthaufen: Denn der Kompost, meint Polzer, „ist wie ein Fieberbett. In seiner ‚roten Phase‘ schafft er 70 Grad, das Kranke geht kaputt und es bilden sich Abwehrstoffe.“ Solcher Kompost hätte den reinsten Impfeffekt. In einem Zeitraum von fünf Jahren könne man durch regelmäßigen Kompostauftrag auf einen kranken Boden schon einen erheblichen Gesundungseffekt feststellen. „Als ich das damals auf der Boku (Hochschule für Bodenkultur) gesagt hab, da habens das gar nicht glauben wollen! Aber nachher hat eine Forschungsgruppe Experimentierfelder gemacht, und da ist das bestätigt worden.“ Er erzählt von seiner Lieblingslinde, die er selbst gepflanzt und die nach 30 Jahren von der berüchtigten Lindenschwärze befallen worden war. Er fragte einen Baumschulexperten, der gab ihm den Rat, den Baum umzuschneiden. Polzer brachte das nicht übers Herz und versuchte es mit seinem „Impfstoff“, und trug Kompost rund um den Stamm auf. Nach zwei Jahren war die Linde wieder gesund.

Solche kleinen Wunder gelingen dem Biobauern nicht, weil er eine neue Technik zur Beherrschung der Natur gefunden hätte. Sein Geheimnis ist, daß er gar nicht danach strebt, sich die Natur zu unterjochen, sondern er unterwirft sich ihren Gesetzmäßigkeiten, er arbeitet nicht gegen sie (mit der chemischen und mechanischen Brechstange), sondern im Einklang mit ihr. Er ist ihr Lehrling und einfühlender Lenker, läßt ihre jahrmillionenalte Erfahrung und Raffinesse gezielt für sich arbeiten. Polzer ist zutiefst davon überzeugt, daß es auf der Erde nichts dauerhaft Schädliches gibt: „Es gibt keinen Feind! In der Natur und auch beim Menschen nicht! Feindbilder sind ein Kommunikations­problem!“

Achtung, Anerkennung, Liebe - die Rezeptur für die Glückseligkeit Das klingt provokant, und wir fragen ihn, wie er denn zur EU steht, deren Politik der Vorzugsförderung von Großbetrieben ihn nun  - wie zahlreiche andere Kleinbauern auch - in eine existenzbedrohliche Lage gebracht hat? – Ja, die EU-Regelungen sind schlimm, die Preise fallen ins Bodenlose, mit der Konkurrenz der großen Handelsketten kann er nicht mithalten – aber sei der Fernseher denn schlecht, nur weil auf ihm ein schlechtes Programm gespielt werde? Er würde gerne mit „den Mächtigen“ reden, ihnen sagen, daß sie sich auch nicht mit noch so viel Geld und Macht erkaufen können, was jeder Mensch im Innersten wirklich sucht – die Glückseligkeit. Glückseligkeit gewinnt der Mensch, wenn sein Grundbedürfnis nach Achtung, Anerkennung und Liebe gestillt ist. Viele Menschen versuchen auf pervertierte Weise diese Bedürfnisse über Macht und Geld zu kompensieren und werden so unleidlich, hart und grausam, weil sie auf diesem Weg trotz aller Anstrengung nie das bekommen, was sie wirklich brauchen. Wie gewinnt man Achtung, Anerkennung und Liebe? Indem man seinen Mitmenschen Gutes tut, und es mit Liebe tut. „Der Krupp, der Industrielle, hat schon in der Gründerzeit moderne Wohnungen für seine Arbeiter gebaut, der hat ein soziales Engagement gehabt...“

Stellen Sie sich vor, man müßte diesen Mächtigen sagen, schau, Du an deiner Position, mit soviel Einfluß und Geld, was du alles Gutes für die Gesellschaft bewirken könntest! Wieviel Freude du säen, wieviel Anerkennung und Dank du ernten könntest! Wer von denen würde, wenn er das nur wirklich klar vor Augen hätte, da noch nein sagen wollen zu seinem Seelenheil?“ Auch den Jugendlichen würde heute ein „Schönheitsideal des Siegers“ vermittelt, der seine Konkurrenten hart und rücksichtslos aus dem Feld schlägt. Doch wo Sieger, dort auch Verlierer. Der Weg zum seelischen Reichtum führt aber nicht über den Egoismus, sondern über den Dienst an der Gesellschaft. Nur im liebevollen Miteinander, in Harmonie mit der Umwelt kann der Schatz der Glückseligkeit gehoben werden.

Ist das realitätsferne Phantasterei? Banale Wunschphilosophie? Polzer führt uns über das Anwesen. Kein Bilderbuchbauernhof aus Massivholz, sondern eher eine Gruppe von Baracken, in denen sich fleckerlteppichartig verschiedenste Materialien und Gegenstände wiederfinden, die anderswo schon als Abfall aussortiert waren und hier wieder Funktion und Wert gefunden haben: Im den Stall erkennt man  - sieh da -! die Fenster einer ausrangierten Straßenbahn wieder, anderswo hat ein alter Hotelteppichboden neue Verwendung gefunden, etc.... Doch auch Menschen, die in ihrem eigenen Selbstgefühl und von der Gesellschaft als „Abfall“ empfunden werden, wie Drogenkranke nach der Entzugstherapie und Haftentlassene, hat Polzer immer wieder bei sich aufgenommen und sie am Hof mitarbeiten lassen. Freilich gab’s da auch Probleme, meint er, aber nie was Schlimmes. Manche von ihnen, erzählt er, sind hier durch die Arbeit in direktem Kontakt mit der Natur zu neuen Menschen geworden, haben Familien gegründet und besuchen ihn noch heute regelmäßig.

Aber auch Drogenabhängige der anderen Art, die der exzessiven Sucht nach Geld und Macht frönen, hat er kennengelernt. Viele spüren offenbar, daß hier auf dem Hof irgendetwas ist, was ihnen guttut und was sie brauchen, denn immer wieder kommen sie und suchen den Kontakt.

Am Hof hat Polzer auch einen Vortragssaal eingerichtet. Hier kann das Wissen um den liebevollen Umgang mit Mensch und Umwelt als einziger Überlebensmöglichkeit weiterverbreitet werden, hier können Menschen sich bei diversen Veranstaltungen in lockerer Atmosphäre kennenlernen und einander näher kommen. Die rund 11.000 Großstadtkinder, die im Jahr  den Hof besuchen, bekommen hier ihre zünftige Bio-Jause. Sie streicheln Schafe, Kühe, Pferde, Esel, Ponys, Ziegen, Meerschweinchen, Kaninchen, Katzen, denen es hier so gut wie kaum sonstwo geht. Sie sehen einmal mit eigenen Augen, woher die Milch aus dem Tetrapack wirklich kommt.

Ob Polzer sein Werk so weiterführen kann, ist derzeit fraglich. Um weitermachen zu können, muß er seinen Hofladen vergrößern, und dazu braucht er einen Bankkredit. Das beste Mittel, jeden Tag gut zu beginnen, ist beim Erwachen daran denken, ob man nicht wenigstens einem Menschen an diesem Tage eine Freude machen könne. (F. Nietzsche) Zum zweiten Mal in seinem Leben kämpft er ums Überleben – diesmal heißt die Bedrohung nicht Metasystox, sondern gnadenloses Preisdumping einer globalisierten Agrarindustrie.


Christiane Schmutterer
(Neue Argumente Ausgabe 85, Sept. 2000)

Seite drucken