Arge Ja zur Umwelt, Nein zur Atomenergie



Die wahren Kosten der Atomenergie

Am Ende der Euphorie:
Die wahren Kosten von Atomkraftwerken

Der Preis entscheidet heute über Sein oder Nichtsein von fast allem, was der Mensch so produziert. Doch es gibt Ausnahmen, wo ein mächtiger Mythos und Interessensgruppen jede Rationalität von Kosten und Nutzen zu verdrängen vermögen - eine Zeit lang. Die zu Beginn des Jahrtausends ausgerufene „Renaissance der Atomenergie“ hat bisher nur als Medienereignis stattgefunden. Sie könnte auch in Zukunft daran scheitern, daß Atomstrom rein wirtschaftlich betrachtet eine der teuersten Energieformen ist.

Atomkraft, die zivile Schwester der AtombombeDie kanadische Provinz Ontario bezieht 50% ihrer Elektrizität aus Atomkraftwerken. Da die bestehenden Reaktoren schon mehrere Jahrzehnte alt sind, war es geplant, diese durch neue zu ersetzen, und entsprechende Angebote wurden eingeholt. Im vergangenen Juni kam der Paukenschlag: Energieminister George Smitherman trat vor die Presse und gab bekannt, daß die Regierung auf den geplanten Bau neuer Atomkraftwerke nun doch verzichten würde, da die eingeholten Angebote weit jenseits des vorgesehenen Budgets lagen. Die Kosten von 24 Mrd. Kan. Dollar (15 Mrd. Euro) und höher für nur zwei Reaktoren würden das gesamte Energiebudget der Provinz für die nächsten 20 Jahre verschlingen. Daher habe man entschieden, stattdessen in kostengünstigere Energieformen wie Gaskraftwerke und erneuerbare Energien zu investieren.

Die Unwirtschaftlichkeit des Atomstroms ist nichts Neues, sie hat sich bereits in den 60er und 70er Jahren gezeigt. In dieser Zeit herrschte die große Euphorie und Hoffnung auf eine Energie, die „zu billig zum Messen“ sei, und die meisten der heute bestehenden Atomkraftwerke wurden in Auftrag gegeben. Die Ernüchterung erfolgte bald. Massive Bauzeitüberschreitungen und dramatisch steigende Kosten führten dazu, daß in den USA die Hälfte der bereits bestellten Atomreaktoren schließlich aufgegeben werden mußten, was zu Verlusten in Milliardenhöhe führte. Im Durchschnitt betrug die Baukostenüberschreitung der in den 60er und 70ern in den USA gebauten Kraftwerke das dreifache der geplanten Kosten, mindestens aber das Doppelte. Dafür verantwortlich war vor allem das Versagen der Industrie, die Bauteile in angemessener Zeit zu liefern, was zu einer enormen Steigerung der Kapitalkosten (Kredite) führte. Die letzten in den 70er Jahren fertiggestellten Kraftwerke kosteten schließlich das
siebenfache der ursprünglichen Schätzungen1. Das führte dazu, daß in den 80er und 90er Jahren nur mehr wenige Kraftwerke in Auftrag gegeben wurden. In Europa zum Beispiel das tschechische AKW Temelin, dessen Bau 1987 begonnen wurde und nach 15 Jahren fertiggestellt war, mit einer Überschreitung von “nur” knapp dem Fünffachen der geplanten Kosten von 20 Mrd. auf 99 Mrd. tschechischen Kronen2.

“Renaissance der Atomenergie”: wieder
unrealistische Versprechungen

Zu Beginn des Jahrtausends wurde die „Renaissance der Atomenergie“ ausgerufen, wieder mit dem Versprechen billiger Kraftwerke, und irreführenderweise mit Argument des Klimaschutzes. Tatsächlich ist Atomkraft ganz und gar nicht CO2-neutral. Wenn man den gesamten Zyklus der Energiebereitstellung (Urangewinnung etc) einbezieht, entstehen beträchtliche CO2-Emissionen, die zwar wesentlich geringer als etwa die eines Kohlekraftwerks sind, aber immer noch denen eines modernen Gaskraftwerks entsprechen.

Bis jetzt ist diese atomare Renaissance vor allem ein Medienereignis geblieben, denn im Unterschied zu dem Boom der Atomenergie in den 60er und 70er Jahren, wo das Wissen über die Kosten weitgehend monopolisiert war, gibt es heute zahlreiche relativ unabhängige Energie-Experten oder Rating-Agenturen, die Investoren beraten. Dadurch ist heute eine kritische Hinterfragung der allzu optimistischen Prognosen der Interessensgruppen möglich. So wurde zu Beginn des Jahrtausends noch ein Produktionspreis von 6 Dollarcent pro Kilowattstunde Atomstrom versprochen, während das Mittelfeld der heutigen Schätzungen bereits zwischen 12 und 20 Cent für die Kilowattstunde Atomstrom liegt3.
Die anerkannte Rating-Agentur „Moody's“ gab erst im vergangenen Juni einen Bericht heraus, wonach sie in Betracht zieht, Kredite für atomare Anlagen in Zukunft schlechter zu bewerten4. In den USA fand sich trotz massiver Anreize der Regierung Bush, wie öffentliche Kreditbürgschaften und Steuervorteile, bisher kein Investor, obwohl bei der amerikanischen Nuklearregulierungsbehörde NRC eine zweistellige Anzahl von Genehmigungsansuchen registriert ist5.

In Westeuropa werden derzeit nur zwei Reaktoren gebaut, einer in Frankreich, Flamanville, und einer in Finnland, Okiluoto. Beide Projekte mit dem neuen Reaktortyp EPR laufen nicht laut Plan, der Reaktor in Okiluoto ist bereits seit 2004 in Bau, von zahlreichen Pannen und Sicherheitsbedenken begleitet, und wird erst mit mehrjähriger Verspätung – wahrscheinlich 2012 - in Betrieb gehen. Die derzeit geschätzten endgültigen Kosten betragen 4,5 bis 5,3 Milliarden Euro6, gegenüber dem vereinbarten Preis von 2,5 Milliarden Euro, und das, obwohl für das Projekt von den Banken ein Kredit mit der einzigartigen Dumpingrate von maximal 2,6% gewährt wurde. Wegen dieser gigantischen Mehrkosten ist bereits ein Rechtsstreit zwischen dem finnischen Auftraggeber und dem staatlichen französischen Areva-Konzern entbrannt.

Der neue Kostenvoranschlag Arevas, der nun (neben einem noch teureren von der kanadischen AECL) von der Regierung Ontarios abgelehnt wurde, zeigt, daß man aus der Erfahrung in Finnland gelernt hat: Der veranschlagte Preis von knapp 15 Milliarden Euro für ein Kraftwerk mit zwei 1600 MW- Reaktoren entspricht mehr als dem Dreifachen dessen, was noch für den finnischen Reaktor verlangt wurde. Der Bau von Atomkraftwerken ist ein höchst komplexer Prozeß, der nicht standardisiert werden kann, da jedes Kraftwerk eine gewisse Anpassung an seinen Standort verlangt. Wie bei allen Großprojekten, müssen viele voneinander abhängige Prozesse beim Bau koordiniert werden, wenn irgendwo eine Verzögerung auftritt, kann das eine Verzögerung des Ganzen bewirken.

Kostengünstige CO2-arme Alternativen schon heute vorhanden

Verschiedene Rating-Agenturen, öffentliche Versorgungsunternehmen und unabhängige Energieanalysten haben die Kosten der verschiedenen Energieformen miteinander
verglichen. Bei allen Unterschieden im Detail zeigt sich dabei ganz klar, daß die Atomenergie auch in rein betriebswirtschaftlicher Betrachtung zu den teuersten Energieformen gehört. Die bei weitem kostengünstigste Energieform ist die von „Einsparkraftwerken“, das bedeutet Investitionen in Energieeffizienz. Eine Kilowattstunde Strom einzusparen kostet nur 20-30% einer neu erzeugten Kilowattstunde Atomstroms.
Der Strom aus Windkraftwerken ist heute nach den meisten Schätzungen schon ein Viertel bis ein Drittel billiger als Atomstrom, ähnliche Kosten werden für moderne Gaskraftwerke mit Wärme-Kraft-Kopplung angenommen. Stromerzeugung aus Biomasse (Typ1) kommt auf 20-45% der Kosten der Kernenergie. Von den erneuerbaren Energien wird einzig die solare Stromerzeugung als derzeit noch teurer als Atomstrom angegeben (gilt nur bei Nicht-Berücksichtigung dessen gesellschaftlicher Kosten!), die meisten Analysten stimmen aber in ihrer Prognose überein, daß in dieser Technik enormes Entwicklungspotential steckt und in den nächsten Jahren merklich fallende Preise zu erwarten sind. Das neuerdings als die „saubere“ Art der Kohleverbrennung so angepriesene CCS-Verfahren (CO2-Absonderung und unterirdischer Speicherung) wird in einer Schätzung (Lazard Investmentbank) als extrem kostspielig, nämlich als 20% teurer als die Atomenergie, eingeschätzt.

Kostenvergleich Atomenergie und Alternativen

Das einzige, was an der Atomkraft wirtschaftlich ist, ist vorhandene, schon abgeschriebene Kraftwerke möglichst lange weiterzubetreiben, mit dem sich durch die Alterung der Anlage erhöhenden Sicherheitsrisiko. Nichts spricht für den Bau neuer Atomkraftwerke - die erneuerbaren Energien bieten heute schon günstigere Arten der CO2-armen Stromerzeugung.

Laut einer Statistik der IAEA7 sind derzeit weltweit 53 Reaktoren in Bau, darunter allerdings 13 „Bauruinen“, das sind Reaktoren, die seit über 20 Jahren nicht fertiggestellt worden sind. Die meisten Bauprojekte, 40, entstehen in Rußland und Asien. Ausgerechnet in den drei führenden Atomkraft-Ländern USA, Frankreich und Japan, die zusammen fast die Hälfte der weltweiten Reaktoren betreiben, und daher großes Interesse an einer Erneuerung ihres Kraftwerkparks haben sollten, gibt es laut dieser Statistik nur vier Neubauprojekte. Die Zahl der weltweit in Betrieb befindlichen Kraftwerke ist in den letzten Jahren sogar gesunken, von 444 im Jahr 2002 auf 435. Es gibt allerdings auch Absichtserklärungen zu neuen Kraftwerken in der westlichen Welt, wie in Frankreich oder neuerdings Schweden. Auch in Großbritannien gab die Regierung bekannt, private Investoren zu neuen Atomprojekten ermutigen zu wollen, allerdings ohne Subventionen zu gewähren, was realistisch nur in der Einschätzung der Gefühle der Steuerzahler ist.

Der Versuch, eine Renaissance der Atomenergie samt ihrer exorbitanten Kosten mit dem Klimaschutz zu rechtfertigen, erweist sich als Bumerang. Denn wenn externe Faktoren erst einmal einbezogen werden, dann müßte man auch das Risiko für die Gesellschaft durch einen atomaren Unfall einbeziehen, das von keiner Versicherung abgedeckt werden kann, weil es unermeßlich ist, die Gesundheitsschäden durch Niedrigstrahlung in der Umgebung der Kraftwerke, die militärischen Ausgaben, um ein Land mit so hochgradig verwundbarer Infrastruktur abzusichern, und die Kosten, die tausenden kommenden Generationen aufgeladen werden, den strahlenden Abfall zu sichern - von der pathologischen Zumutung einer solchen Vorgangsweise ganz abgesehen. Umgekehrt gewinnen die erneuerbaren Energien bei der Berücksichtigung externer Kosten bzw. volkwirtschaftlicher Betrachtungsweise. Aber selbst in rein betriebswirtschaftlicher Perspektive zeigt sich, daß die Atomenergie selbst nach einem halben Jahrhundert intensiver Förderung nicht auf ihren eigenen Füßen stehen kann und ohne Verlagerung von Kosten und Risken auf die Gesellschaft nicht überlebensfähig ist.

EURATOM -Vertrag endlich entsorgen

Heute leben wir in einer Weltordnung, in der Effizienz und Wirtschaftlichkeit als Werte „über alles“ gelten. Das sind die Werte, die sich auch in den EU-Verträgen an erster Stelle finden. In völligem Widerspruch dazu steht der darin integrierte EURATOM-Vertrag, mit dem Ziel „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen... welche ... zum Wohlstand ihrer Völker beiträgt.“ Dieser Satz aus dem Jahr 1957, den man vielleicht aus dem Geist der damaligen Zeit verstehen kann, mutet heute wie ein Hohn an. Skandalös ist, daß die EU weiterhin Millardenbeträge in die Atomforschung steckt, statt den EURATOM- Vertrag als einseitige Förderung einer unwirtschaftlichen Energieform, und in eklatanter Verletzung ihrer eigenen Werte, endlich auf dem Abfallhaufen der Geschichte zu entsorgen: Weil er den Wohlstand und die Sicherheit der Völker in Gefahr bringt.

Christiane Schmutterer (Neue Argumente 113, November 2009)
Die wahren Kosten der Atomenergie

Das Datenmaterial zu diesem Artikel stammt zu einem großen Teil aus der im Juni 2009 publizierten Studie “The economics of nuclear reactors: renaissance or relapse“ von Dr. Mark Cooper, Institute for Energy and environment at Vermont Law School.

Anmerkungen
1 In anderen Ländern sind laut Dr. Mark Cooper Daten entweder nicht zugänglich oder so intransparent, daß keine seriöse Abschätzung möglich ist.
2 IAEA 2001 für 1998, zit. nach W. Irrek, Die Kosten der Kernenergie, Zürich 2008.
3 Die Schätzung des Kilowattpreises erfolgt über die Gesamtkosten eines Atomkraftwerks, Bau, Kapitalkosten, Betriebskosten, Entsorgungskosten etc., dividiert durch die erwartbare Stromerzeugung während der angenommenen Lebenszeit.
4 “New Nuclear Generating Capacity: Potential Credit Implications for U.S. Investor Owned Utilities," Moody's Investor service, Juni 2009
5 http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Olkiluoto
6 www.nrc.gov/reactors/new-reactors/ col/new-reactor-map.html
7 www.dw-world.de/dw/article/0,,4822075,00.html

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