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Wohnen in Jurten - eine uralte Wohnform neu entdeckt f¨r eine selbstbestimmte, gl¨cklichere Lebensweise.

Naturnah leben in Jurten

Eine uralte Wohnform neu entdeckt für eine selbstbestimmte,
glücklichere Lebensweise

von Claudius Kern

Jurten sind Rundzelte, die in den klimatisch extremen Ursprungsländern der Mongolei, des Hohen Altai und des Kaukasus noch immer weit verbreitet sind. Obwohl sie gegenüber der in Europa fast ausschließlich zum Wohnen benutzen Fest- und Rechteck-Bauweise zahlreiche Vorteile aufweist, war ihr die Verbreitung in Ländern mit feuchtem Klima bisher verwehrt. Mit heute verfügbaren Techniken und Materialien kann der Jurtenbau jedoch an hiesige Verhältnisse anpaßt werden und wartet mit beträchtlichen Überraschungen auf, was Kosten, Herstellungsweise, Wohnkomfort und Verwendbarkeit betrifft.

Je industrieller unsere Bau-, Wohn- und Lebensformen werden, desto mehr machen sie uns seelisch und körperlich krank. In den künstlichen Asphalt- und Betonwüsten der Städte mit ihrer Lärm-, Feinstaub- und Elektrosmogüberlastung sind Gesundheit und Lebensqualität immer schwerer zu bewahren und werden zunehmend zur Frage eines gut gefüllten Bankkontos. Zwischen Arbeitsstress, Verkehrschaos, geschädigter Umwelt, Industrienahrung, Reizüberflutung, Zeitmangel und degenerierten Beziehungen verkommt die Lebenslust und endet oft in der Flucht in den Konsum. Aber wie können wir diesen lebensfeindlichen Bedingungen entkommen, die ja nur Ausdruck sind unseres naturentfremdeten, materialistischen Denkens und einer seit Jahrhunderten daraus erwachsenden Bildung, Politik, Bürokratie und Ökonomie?

Wie ich zu den Jurten kam

Schon in den 80er Jahren hatte mich ein Lichtbildvortrag über die Mongolei fasziniert: Da wurden schlichte Filz-Zelte als Behausung gezeigt. Jurten - das sind mit einfachsten Werkzeugen und äußerst kostengünstig herstellbare, textile Behausungen. In extremsten Klimabereichen verbreitet, geben sie Schutz vor Temperaturen zwischen minus 50° und plus 40° und trotzen wegen ihrer großen Biegefestigkeit Stürmen bis zu 300km/h. Sie sind höchst stabil und dennoch leicht, rasch auf- und abbaubar, transportabel und das Wohngefühl ausgesprochen behaglich.

Doch die Saat dämmerte bei mir noch 20 Jahre dahin, bis ich 1998 erstmals mit hohem Mietzins konfrontiert war und fand, nun wäre es an der Zeit, meinen lange gehegten Traum zu verwirklichen. Heute lebe ich bereits seit mehr als 5 Jahren in einer zweistöckigen Jurte und bin soeben dabei, ein Jurtendorf als erstes Gemeinsschaftsprojekt zu begründen.

Claudius Kern in seiner Jurte

Erste Schritte

Mein Bestreben war, die in vieler Hinsicht faszinierende Jurtenbauweise an unser mitteleuropäisch-feuchtes Klima anzupassen und zu der Naturnähe auch einen überragenden Wohnkomfort zu ermöglichen.

Dabei gab es zunächst zwei Hürden zu überwinden: Erstens verschimmelt die traditionelle Filz-Einkleidung bei uns ca. binnen drei Jahren. Zweitens: Wenn diese ersetzt wird durch bei uns bewährten Isolierformen, dann braucht es eine spezielle Belüftung – und diese galt es erst einmal zu erfinden für eine Bauform, die nicht fest, sondern weich und in sich beweglich („biegefest“) ist. Nun liegt die hervorragendste Stärke der Jurtenbauweise in ihrer Biege-Steifigkeit im Unterschied etwa zum festen Bungalow. Hier kommt es darauf an, daß alle Bereiche vom kreisförmigen Boden über die Wand bis zur kegelförmig zusammenlaufenden Decke zueinander nur gelenkartig ineinander gesteckt und nicht verschraubt sind. Diese im ganzen Bauwesen einzigartige Bruchsicherheit bei größter Belastbarkeit (Stürme, Schneelasten, Erdbeben...) wird durch ein dünnes Scherengitter aus Hartholz oder auch hierzulande wachsendem Bambus erreicht.

Weitere Recherchen führten rasch zu einschlägigen Entwicklungen in den USA, wo es bereits seit gut 30 Jahren die von Bill Coperthwaite begründete Bewegung „The Yurt-People“ gibt. Doch Oberflächlichkeit – und nicht nur die sprichwörtlich amerikanische – verleitet dazu, mit der Erde so umzugehen, als hätten wir eine zweite im Hinterhof liegen. Bei der Hausisolierung wird gespart – die amerikanischen Jurtenbauer begnügen sich hier mit alu-beschichteter Plastikfolie. Das macht die Jurten zu Energieverschwendern und aus baubiologischen Gründen für dauerhaftes Wohnen ungeeignet. Ich mußte also weiter meine eigenen Wege gehen und habe dieses Problem mittlerweile zufriedenstellend gelöst.

Isolation, Heizung, Sanitäres, Wohnkomfort

Jurte Für die erste in unserem Forschungsinstitut erstellte Wohn-Jurte verwendeten wir gesteppte Wollvlies-Dämmbahnen. Dieser Weg ist nach wie vor interessant, damit aber keine Feuchtigkeit in der Dämmung hängen bleibt (die Folge wäre erneut eine Schimmelbildung) mussten moderne Baustoffe und Konzepte jurtengerecht angepaßt werden (z.B. Elementbauweise). Zusätzlich reduziert die kreisrunde Form der Jurte die Außenfläche und damit den Energieverlust um ein weiteres iertel. So läßt sich unschwer der Standard eines Niedrigenergie-Hauses erreichen, bei bestem Raumklima, so daß im Winter ein kleiner, mit (Abfall-)Holz beheizter Ofen ausreicht.

Tageslicht bekommt die Jurte einerseits durch das runde Deckenlicht und optional durch zusätzliche Fenster. Je nach finanziellem Einsatz können diese mit transparenter Wärmedämmung oder durch Mehrfachverbundfenster energiesparend gestaltet werden.

Die sanitären Fragen lassen sich mit moderner Technologie elegant und kostengünstig lösen – z.B. mit Camping-Bedarf auf biologischer Basis. Am besten ist es, Abwasser von vornherein gar nicht entstehen zu lassen (biologische Waschmittel wie Waschnuß und effektive Mikroorganismen) und damit einen Kanalanschluss zu erübrigen. Grauwasser läßt sich über eine Pflanzenkläranlage von nur etwa einem Quadratmeter Fläche pro Person erneut zu Brauch-Wasser recyceln, wenn die Fäkalien über ein Humus- oder „Spaten“-Klo getrennt davon erneut dem Bio-Kreislauf zugeführt werden.

Küche, Bad und Klo sollten allerdings zusammen mit dem Vestibül als eigener Vorraum außen angebaut werden, da die Jurte zusätzliche Luftfeuchtigkeit schlecht verträgt und eine Raumteilung die schöne Kreisform des Innenraums stören würde. Angesichts der Fortschritte auf dem Gebiet dezentraler Energiegewinnung sollte in Zukunft auch ein Verzicht auf einen Anschluß ans öffentliche Stromnetz ohne wesentliche Komfortverluste möglich sein. Schon heute lassen sich zahlreiche Geräte mit 12 Volt (z.B. Solarstrom) betreiben. Die Waschmaschine läuft gut mit Solarheizung und zum Kochen genügt Gas oder Holz.

Beim Bau einer JurteDer Auf- und Abbau einer Jurte ist – wenn mehrere zusammenhelfen - innerhalb eines Tages möglich und es bedarf dafür keiner besonderen bautechnischen Kenntnisse. Die Bauweise ist einfach und seit Jahrtausenden erprobt, sie hält Stürmen und Erdbeben besser stand als Ziegelbauten. Schneelasten rutschen ab, da sie sich auf der glatten Plastikplane nicht halten können. Die Haltbarkeit der Außenhaut liegt bei einer Generation, der übrigen Teile bei einem ganzen Leben. Die Kosten liegen zwischen 50 und 150 Euro pro Quadratmeter, somit etwa ein Zehntel des Preises des herkömmlichen Wohnbaus. Dadurch wird ein entscheidender Schritt aus dieser typischen Armuts- und Schuldenfalle ermöglicht. Baurechtlich gilt die Jurte als Zelt und stellt kein bewilligungspflichtiges Gebäude dar.

Konsequente Ökologisierung des Wohnens

Wir mußten also das komplexe Zusammenspiel der Bestandteile und Materialien völlig neu überdenken. Mit dem Gelingen desselben steht und fällt die Verbreitung des Jurtenbaus in Europa und allen übrigen feuchteren Gebieten der Welt. Ein mobiler, extrem kostengünstiger und nicht länger naturschädigender Wohnbau (der die Erde nicht verletzt) wird dadurch auch hier möglich.

Eine entsprechend konsequent weiter entwickelbare Ökologisierung des Wohnens erlaubt eine Koexistenz von Mensch und Natur, von der wir heute nur träumen können* . Nur unter solchen Umständen läßt sich eine Rückbesiedelung auf’s Land ökologisch vertreten, was - richtig organisiert - zugleich das Ende der Naturentfremdung des Menschen mit bewirken sollte.

Bei der derzeitigen Bevölkerungsdichte stehen jeder Person auf dieser Erde theoretisch 1,8 ha nutzbarer Boden zur Verfügung. Die Deutschen brauchen jedoch über vier, die Amerikaner sogar mehr als sechs Hektar „ökologischen Fußabdrucks“. Der Grund liegt hauptsächlich in der Entstehung von „Agrar-Fabriken“ statt Bauern- und Gärtnerhöfen. Handarbeit steigert die Bodennutzung um ein Vielfaches - und das erst recht bei gleichzeitiger Ökologisierung, die kleinräumig am besten realisierbar ist. Das aber will gelernt sein!

Wege aus Armutsfalle und Hamsterrad

Das Leben in den Städten innerhalb einer immer gnadenloseren Arbeitswelt ist heute in seiner Natur-Entfremdung der Gärtopf eines todkranken Bewußtseins und Systems, das die Erde zerstört. Ein tiefgreifendes Umdenken, eine baldige politische Wende, scheint außer Sichtweite. Mindestens im individuellen Bereich gibt es noch Auswege. Jurten bieten ein beträchtliches Potenzial für Menschen, die nicht nur ein Leben in weitgehender Unabhängigkeit und Selbstversorgung anstreben, sondern auch ihre „innere Mitte“ in einer naturnahen Lebensweise und Bauform wiederfinden wollen. Ein Leben in Jurten ermöglicht zudem andere soziale Umgangsformen: in Partnerschaften wird durch nebeneinander stehende Jurten sowohl Gemeinschaft als auch Rückzug ins „eigene Reich“ (die eigene Jurte) ermöglicht, ebenso im Zusammenleben der Generationen.

In England konnte nach siebenjährigem Kampf die hierzulande noch sehr starke bürokratische Mauer gegen diese Chance endlich durchbrochen werden. Am Kontinent beginnt er aber erst. Vor allem viele junge Menschen ohne Aussicht auf ein- und erträgliche Arbeit wenden sich mit der Hoffnung auf geringstmögliche Wohnkosten und Selbstversorgung an unser Institut. Um ihnen gerecht zu werden, müssen wir sämtliche mit einer solchen Siedlungsform verbundenen Themen aufarbeiten. Nun ist allerdings die moderne Jurtenbauweise sowie die Befähigung zu einem möglichst autarken Leben vergleichbar mit der Entwicklung des Autos aus der Pferdekutsche. Um diese zu beschleunigen und zu „sozialisieren“, sehen wir es als oberste Pflicht an, unsere Hilfe „open source“ - mit offenen Händen - anzubieten. Das heißt, das ganze Fachwissen geht nicht in eine Produktionsfirma mit den üblichen Konkurrenz- und Verheimlichungsspielregeln, sondern wird über Seminare und Beratungen zur Gänze weitergereicht, damit eine möglichst kräftige Bewegung sich rasch entwickeln kann. Nur so können wir alldem, was da noch auf uns zukommt, mit gutem Gewissen in die Augen schauen.

Die Hauptvorteile des modernen
Jurten-Wohnbaus:
Mobilität und Flexibilität, Schönheit, Leichtigkeit, extreme Sparsamkeit in Material und Kosten, Ressourcenschonung.
Einfache und rasche Herstellbarkeit ohne besonderes Fachkönnen, hohe Sturm- und Erdbebenfestigkeit und keine Bodenversiegelung.

(Neue Argumente Ausgabe 106, August 2006)

Claudius Kern(*) s. G.H. Becher: Ökologische Wertigkeit des Bodens, München 1976)

SINNERGON®
Forschungsgemeinschaft für
naturintegriert-rundes Bauen und Leben

Mailadresse Dr. Claudius Kern: sinnergon "at" gmx.net

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