Nach dem Rekordhoch im Sommer sind die Ölpreise wieder stark gesunken. Doch alles spricht dafür, daß das nicht so bleibt. Die internationale Energieagentur IEA hat erstmals im vergangenen November in ihrer Publikation "World Energy Outlook" vor einem Einbruch der Ölförderung und weltweiten Versorgungskrisen gewarnt. Dies ist um so bemerkenswerter, als lange Zeit der Erdölindustrie nahestehende Institutionen immer versucht haben, die Sorge vor einem "Peak oil" als unbegründet oder gar lächerlich abzutun. Im April dieses Jahres hat der Chefökonom der IEA, Fatih Birol, ein aufsehenerregendes Interview gegeben, das unter dem Titel "Die Sirenen schrillen" in der Zeitschrift "Internationale Politik" erschienen ist. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen aus dem Interview.
In den nächsten 7 Jahren kann es zu einem Einbruch der Ölförderung und eskalierenden Preisen kommen, dafür sind drei Gründe ausschlaggebend:
1. Die stark wachsende Nachfrage, hauptsächlich aus China, Indien und den Staaten des mittleren Ostens, die Rückgänge durch wachsende Energieeffizienz in den westlichen Ländern bei weitem übersteigt.
2. Ein steiles Absinken der Fördermengen aus den existierenden Ölfeldern, insbesondere der Nordsee, den USA und zahlreichen nicht- OPEC-Ländern.
3. Unzureichende Projekte für neue Förderkapazitäten. Die hoffnungsvollsten Projekte für neue Förderkapazitäten liegen in den ölreichen Staaten des mittleren Ostens, es ist allerdings gar nicht sicher, daß diese Länder diese Projekte auch entsprechend energisch betreiben werden, da sie an einer Erhöhung der Fördermenge gar nicht interessiert sein könnten, sondern lieber die Preise hochhalten wollen. Doch selbst wenn alle bereits finanzierten Projekte in den nächsten Jahren umgesetzt würden, wäre die Gesamtkapazität an neuer Ölförderung zu gering.
Dadurch ist ein Rückgang der Ölförderung um die 4% pro Jahr zu erwarten, während die Nachfrage weiterhin steigen wird. "Genau 12,5 Millionen Barrel pro Tag fehlen noch immer, rund 15% des Weltölbedarfs. Diese Lücke bedeutet, daß wir in den nächsten Jahren ein Lieferklemme und sehr hohe Preise erleben könnten." Dazu kommt noch, daß die Reserven im mittleren Osten, insbesondere Saudi Arabiens, wegen nicht transparenter Daten wahrscheinlich sehr falsch eingeschätzt wurden - vielleicht bis um 50% zu hoch! 60% der Weltölreserven lagern in Ländern, die dem Westen gegenüber nicht unbedingt freundlich eingestellt sind, Rußland, Iran, Irak, Venezuela, ...oder zumindest sehr zurückhaltend sind, wie Saudi Arabien. "Die Schlußfolgerung lautet, daß wir darauf gefaßt sein sollten, in den nächsten Jahren äußerst enge, turbulente und hochpreisige Ölmärkte zu sehen...." Das wird schwer für die westlichen Volkswirtschaften sein, am schlimmsten aber wird dies die armen Länder treffen, die heute schon einen großen Teil ihres Einkommens für Erdölimporte verwenden müssen. "Es wird darum gehen, wer sich X-Dollar pro Barrel leisten kann, und wer nicht. Die einen werden diejenigen sein, die das können, die anderen eben nicht."
Auf die Gefahr von kriegerischen Konflikten angesprochen, sagt Birol: "In meinem professionellen Mandat spreche ich nicht viel über Krieg und ähnliches. Aber was ich Ihnen sagen kann ist, daß Energiefragen und Geopolitik zu sehr miteinander verwoben werden. Die Energieversorgung wird weniger und weniger ein Geschäft und mehr und mehr zu einem Geschäft plus Geopolitik. Das ist keine gute Nachricht."
Um einen Ausweg aus der Versorgungskrise und Klimawandel zu schaffen, bedarf es nach Ansicht Birols einer drastischen Steigerung der Energieeffizenz, die Verwendung alternativer Treibstoffe, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Verwendung der CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken (Anm. der Redaktion: diese ist bei Experten sehr umstritten wegen ihrer hohen Kosten und ungeklärten Risiken) Das Potential der Atomkraft sieht Birol nur sehr begrenzt, da man für eine nennenswerte CO2-Einsparung weltweit 30 Atomkraftwerke pro Jahr bauen müsse, was fast unmöglich sei. Auch sollten Atomkraftwerke nicht gegen den Willen der Menschen in deren Umgebung gebaut werden.
"In jeder Ölförderregion werden normalerweise
zuerst die großen Felder
erschlossen und erst danach die kleineren
Felder. Sobald die ersten
großen Ölfelder einer Region ihr
Fördermaximum überschritten haben,
muß eine steigende Anzahl neuer
und im Allgemeinen kleinerer Ölfelder
erschlossen werden, um den
Rückgang der Fördermenge zu
kompensieren. Ab diesem Zeitpunkt
wird es immer schwieriger, das
Wachstum der Förderrate aufrecht zu
erhalten. Ein Wettlauf beginnt, der
wie folgt beschrieben werden kann:
Mehr und mehr große Ölfelder weisen
rückläufige Fördermengen auf.
Der entstehende Ausfall muß kompensiert
werden, indem immer mehr
kleinere Ölfelder für die Förderung
erschlossen werden. Aber die kleineren
Ölfelder erreichen ihr Fördermaximum
wesentlich schneller und
tragen danach zum allgemeinen
Rückgang der Gesamtfördermenge bei."
Quelle:Energy Watch Group, "Zukunft der weltweiten Erdölversorgung", Ausgabe Mai 2008,S.9
Grafik: Erdölreserven weltweit 2008
"Das wichtigste Ergebnis der vorliegenden Analyse ist die Erkenntnis, daß die weltweite
Ölförderung im Jahr 2006 ihren Höchststand erreicht hat. Die Ölförderung wird künftig um
einige Prozentpunkte jährlich zurückgehen. Bis 2020 und erst recht bis 2030 ist ein dramatischer
Rückgang der weltweiten Ölförderung zu erwarten. Dadurch wird eine Versorgungslücke
entstehen, die innerhalb dieses Zeitrahmens kaum durch die wachsenden Beiträge anderer
fossiler, nuklearer oder alternativer Energiequellen geschlossen werden kann.
Die Weltwirtschaft steht am Anfang eines tiefen Strukturwandels. Dieser Wandel wird durch
den Rückgang der Versorgung mit fossilen Brennstoffen ausgelöst, und er wird beinahe jeden
Aspekt unseres Alltagslebens beeinflussen. Ebenso wird der Klimawandel die Menschheit
zwingen, ihre Energieverbrauchsmuster durch eine drastische Reduzierung der Verbrennung
von fossilen Brennstoffen zu ändern. Die globale Erwärmung ist ein sehr ernstes Problem. (...)
Die jetzt beginnende Übergangsphase besitzt wahrscheinlich ihre eigenen Regeln, die auch nur
während dieses Zeitraumes gelten. Es könnten Dinge geschehen, die wir nie zuvor erlebt
haben und die wir wahrscheinlich nie wieder erleben werden, wenn diese Übergangsphase abgeschlossen ist.
Möglicherweise wird sich unsere Art, mit Energieproblemen umzugehen, grundsätzlich und vollständig ändern müssen."
Aus: "Zukunft der weltweiten Erdölversorgung", Überarbeitete, deutschsprachige Ausgabe, Mai 2008