Arge Ja zur Umwelt, Nein zur Atomenergie



Demokratie, Freiheit, Bürgerrechte, Verfassung, Volksbegehren, Volksabstimmung,

Die Ohnmacht der Anti-Atom-Politik zeigt eine Ohnmacht der Demokratie

Der Grundsatz einer demokratischen Verfassung ist, daß alles Recht vom Volk ausgeht: das Volk gibt die Ziele vor, und die Regierung hat die Aufgabe, mit Hilfe von Experten Wege zu finden, diese zu verwirklichen. So ist es in der Theorie. In der Praxis schaut es heute ganz anders aus.

Ob Transitverkehr, gentechnikverseuchte Lebensmittel, Sozialabbau, Verschleudern von Staatsvermögen, Temelín, Neutralitätsaushöhlung oder Abfangjäger: Es geschieht nicht mehr das, was die Menschen wünschen, gleich, welche Partei in der Regierung ist, gleich, ob hunderttausende in einem Volksbegehren sich dagegen ausgesprochen haben. Viele Gesetze werden überhaupt nicht mehr auf nationaler Ebene entschieden, sondern von supranationalen Institutionen zweifelhafter demokratischer Legitimation. Als Folge verbreitet sich unter der Bevölkerung Frustration und Resignation. Da Regierungen und Parteien im allgemeinen nicht dazu neigen, freiwillig von ihrer Macht etwas abzugeben, werden die Bürger selbst darum kämpfen müssen, wenn sie selbst wieder aktiv in die Gestaltung unserer Lebensbedingungen eingreifen wollen.

Ein Beispiel für das Versagen demokratischer Mechanismen ist die Atompolitik. Aller Vernunft zum Hohn gelang es der österreichischen Politik weder, eine Inbetriebnahme des überflüssigen und gefährlichen Atomkraftwerks Temelín zu verhindern, noch den Import von Atomstrom aus Nachbarländern ins österreichische Stromnetz. Auf EU-Ebene gibt es nach wie vor keine verbindlichen Mindeststandards für die Sicherheit von Atomkraftwerken, noch die Verpflichtung zu einer ausreichenden Haftpflichtversicherung für den Fall eines schweren Atomunfalls, von einer Lösung für die Endlagerung des Strahlenmülls ganz zu schweigen. Obwohl eine Mehrheit der EU-Bürger gegen die Atomenergie ist, obwohl sieben der 15 EU-Staaten überhaupt keine Atomkraftwerke haben und weitere vier langfristig aus der Atomenergie aussteigen möchten, wird nun sogar ungeheuerlicherweise über eine Aufnahme des EURATOM-Vertrages in die neue EU-Verfassung nachgedacht. Dieser Vertrag hat die jahrzehntelange privilegierte Förderung der Atomenergie auf Kosten anderer nachhaltiger Energieformen festgeschrieben, und seine Verankerung in der Verfassung würde eine Fortsetzung der milliardenschweren AKW-Förderung ermöglichen.

Schon im aktuellen EU-Forschungsrahmenprogramm hat die nukleare Forschung mit 1,23 Mrd. Euro wesentlich mehr Geld bekommen als die so dringend nötige Erforschung der Erneuerbaren Energien, für die zusammen mit den Effizienztechnologien nur 830 Mio. Euro zur Verfügung gestellt wurden.(1)

 Demokratiepolitisch skandalös ist es, daß das europäische Parlament die Vergabe dieser riesigen Summen nicht kontrollieren kann. Diese werden vom Rat auf Vorschlag der Kommission beschlossen, und das Parlament darf hier nur zuhören, aber keine Beschlüsse fassen. Somit findet keine demokratische Legitimation solcher Entscheidungen statt, und eine kleine, aber einflußreiche Minderheit von Pro-Atom-Ländern (besonders Großbritannien und Frankreich) bestimmt die energiepolitischen Weichenstellungen für ganz Europa.

Noch immer wird die unverschämte Lüge verbreitet, die Atomenergie sei unverzichtbar für die Energieversorgung. Dabei existiert der Gegenbeweis schon: das kleine österreichische Bundesland Vorarlberg ist die erste Region Europas, in der schon heute mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wasserkraft, Biomasse, Biogas und Sonnenlicht erzeugt wird, als insgesamt Strom verbraucht wird! 100 Prozent Ökostrom! In Deutschland wurden allein im vergangenen Jahr Windkraftanlagen mit einer Nennleistung von mehr als drei Gigawatt installiert. Solche Fakten sind es, die bei der Atomlobby Panik auslösen, weil sie das Märchen von der unersetzlichen Atomenergie und den so teuren unfinanzierbaren kapazitätsschwachen Erneuerbaren Energien Lügen strafen. Noch ist sich die breite Öffentlichkeit - besonders in den Atomländern - dieser Dinge nicht bewußt. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, könnte irgendwann die öffentliche Meinung kippen und die Atomenergie massiv unter Druck geraten, auch finanziell, weil sie bei wegbrechendem Marktanteil ihre auf Menge kalkulierten "Billigpreise" nicht mehr halten können wird. Doch bekanntlich sind Monster dann am gefährlichsten, wenn sie sich bedroht fühlen. Wo es an guten Argumenten fehlt, wird mit Macht und Willkür kompensiert.

So ist die Atomlobby heute kräftig in der Offensive: in der EU wird mehr Atomstrom denn je produziert.  Im vergangenen Jahr waren es 853 Mrd. Megawattstunden, um 7 Mrd. Megawatt mehr als 2001. Damit besteht mehr als ein Drittel der gesamten Strommenge in der EU aus Atomstrom. Spitzenreiter ist Frankreich mit 78 Prozent Atomstromanteil im Netz.(2)

“Die machen doch sowieso was sie wollen!”

Sehr erfreulich ist es, daß die Umweltorganisation Greenpeace  angesichts dieser Lage die Initiative ergriffen hat und ein Volksbegehren für den Ausstieg aus der Atomkraft in Europa organisiert hat, das im vergangenen Juni stattgefunden hat. Zur Überraschung vieler hat es mit nur knapp über 130.000 Unterschriften nur ein sehr enttäuschendes Resultat erbracht. Warum? Sicherlich nicht, weil die Österreicher ihre ablehnende Haltung zur Atomenergie aufgegeben hätten. Die Leute sind nur völlig frustriert darüber, daß sie immer wieder Volksbegehren unterschrieben haben, und dann IST NICHTS GESCHEHEN. Die meisten Volksbegehren sind zwar vom Parlament behandelt worden, aber dann in der Schublade gelandet.

Warum haben die Volksbegehren nichts gebracht? Weil sie mit keiner Verpflichtung für die Regierung verbunden sind. Ein Volksbegehren muß ab einer bestimmten Unterschriftenzahl im Parlament "behandelt" werden, aber für die Regierung besteht keinerlei Verpflichtung zur Umsetzung. Diese Verpflichtung besteht nur bei einer Volksabstimmung.  Da die Regierungen aber ohnehin der Meinung sind, besser zu wissen, was für das Volk gut ist, gibt es Volksabstimmungen nur ausnahmsweise. Seitdem die Kreisky- Regierung mit der Zwentendorf - Volksabstimmung ein Debakel erlitten hat, gab es nur eine einzige weitere Volksabstimmung: die bezüglich des EU-Beitritts, der sicherheitshalber eine machtvolle Propagandawalze vorausgeschickt wurde, wie sie die Republik noch nicht gesehen.

So darf das Volk zwar begehren so viel und oft es will, aber die Entscheidung darüber, was tatsächlich geschieht, trifft die Regierung. Regierungen, welche die Willenskundgebungen der Bevölkerung so offensichtlich geringschätzen, untergraben damit die Demokratie. Heute werden ohnehin viele Entscheidungen nicht mehr im eigenen Land, sondern weit weg in Brüssel von der EU-Kommission getroffen - und selbst die kann immer noch von der WTO gemaßregelt werden, wenn zum Beispiel das EU-Importverbot von amerikanischem Gentech-Nahrungsmitteln als "wettbewerbswidrig" aufgehoben werden müßte, wie es jetzt droht. Hier zeigt die Globalisierung ihre zutiefst undemokratische Fratze. Bei den Menschen entsteht ein politisches Ohnmachtsgefühl. Die typischen Reaktionen sind: "Da kamma doch nix machen!" "Die machen sowieso was sie wolln! "Ich unterschreibe nie wieder etwas!" "Das bringt doch nichts!"

Die Gestaltung seines Lebensraums ist ein Grundbedürfnis des Menschen

Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, sich zu ÄUSSERN. Nicht nur in der Sprache, sondern auch in Taten. Das, was als Keim in ihm steckt, zu entwickeln. Das Talent zur Fertigkeit und die Möglichkeit zur Wirklichkeit zu bringen. Nur ein Mensch, der seine Umwelt gestalten und bereichern kann, ist ein glücklicher Mensch. Schon die Kinder in der Sandkiste, die eine Burg gebaut haben, oder die in einem Bach mit Steinen den Lauf des Wassers gestaut oder umgeleitet haben, empfinden das Glücksgefühl und Selbstbewußtsein, das aus der Gestaltung der Umwelt erwächst. Ein Mensch, dem in autoritären Verhältnissen alles immer nur vorgegeben, jede Eigeninitiative verleidet und die Möglichkeit zur freien Selbstentfaltung genommen wird, wird unglücklich und krank. Die Energie, die keinen Weg der Entäußerung ins Konstruktive findet, kann sich auch ins Zerstörerische  wandeln. Was für den Einzelnen gilt, gilt auch für die Gesellschaft: wenn den Menschen mehr und mehr die Möglichkeit genommen wird, ihren eigenen Lebensraum zu gestalten, führt das zu Frustration und Resignation, dem idealen Nährboden für Radikalisierung, totalitäre Tendenzen, Aggressivität und Unmenschlichkeit.

Was können wir tun?

Das Fundament der Demokratie liegt in kleinen geographischen Einheiten. Wenn die Demokratie nicht im gesellschaftlichen Mikrokosmos wie Familie, Gemeinde oder Bundesland funktioniert, wird sie auch auf nationaler und supranationaler Ebene versagen. Die EU hat diese kleinräumigen demokratischen Strukturen geschwächt, ohne irgend etwas Gleichwertiges aufgebaut zu haben, ganz im Gegenteil. Ein humanes, demokratisches Europa kann es nur geben, wenn die Bürgerrechte im regionalen und nationalen Bereich wesentlich gestärkt werden. Die Lösung heißt mehr Bürgerrechte durch direkte Demokratie. Wenn Bürger einmal mit der Politik der Gemeinde oder der Regierung nicht einverstanden ist, müssen sie die Möglichkeit bekommen, selbst die Initiative zu ergreifen. Folgende gesetzliche Rahmenbedingungen sind erforderlich und werden im laufenden Bürgerrechts-Volksbegehren gefordert: Unterschriften für ein Volksbegehren müssen unbürokratisch gesammelt werden können. Die Anliegen von Volksbegehren dürfen keiner inhaltlichen Einschränkung unterliegen. Volksbegehren, die über 100.000 Unterschriften erreichen, MÜSSEN einer Volksabstimmung unterzogen werden, und deren Ergebnis MUSS von der Regierung umgesetzt werden.

Österreich steht jetzt eine Klage Tschechiens vor der EU wegen seines Importverbots für tschechischen Atomstrom ins Haus. „Wettbewerbswidrigkeit“ heißt der drohende Schuldspruch, der Bannstrahl der modernen Inquisition. So kann es uns passieren, daß wir demnächst den Temelin-Strom hineingestopft bekommen, ob uns das paßt oder nicht. Und die Lawine des luftverpestenden ohrenbetäubenden LKW-Transitverkehrs wird auch ungehindert zunehmen. Das ist EU-Recht  l i f e. So kann es doch nicht weitergehen! Es ist wichtig, zu begreifen, daß sämtliche Anliegen von diesem Demokratieverlust betroffen sind, ob es sich nun um Tierschutz, Umweltschutz, Sozialabbau oder Neutralitätsbewahrung etc. handelt. Das Bürgerrechts-Volksbegehren setzt den Hebel an einem Punkt an, der über Gedeih und Verderb sämtlicher zivilgesellschaftlichen Anliegen bestimmt. Wir rufen daher alle Einzelpersonen, Bürgerinitiativen, Interessensvertretungen auf, das Volksbegehren für mehr direkte Demokratie tatkräftig zu unterstützen! Wir machen uns dabei nicht viel Hoffnung darauf, daß das Parlament dieses Volksbegehren eher umsetzt als die vorhergehenden; sondern das Volksbegehren ist nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, ein Mittel, um dieses wichtige Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, um irgendwann den Druck der öffentlichen Meinung so groß werden zu lassen, daß die Politik sich seiner Umsetzung nicht mehr widersetzen kann.

Mit der Verknüpfung von Volksbegehren und Volksabstimmung – wie es in der Schweiz schon lange erfolgreich praktiziert wird - hat die Bevölkerung ein wirksames Mittel, ihren politischen Willen zur Geltung zu bringen, genau wie es der Begriff Demokratie auch bedeutet. Menschen, die ihre Lebensbedingungen umfassender mitgestalten können, als nur in Bereichen wie Wohnungseinrichtung, Automarke und Urlaubsort, haben ein ganz anderes Lebensgefühl: In der Politik ist es wie in der Mathematik, auch Nullen sind wertvoll wenn sie an richtigen Stellen stehen (Malcolm Muggeridge)sie sind glücklichere und zufriedenere Menschen.

Christiane Schmutterer
(Neue Argumente Ausgabe 97, Juli 2003)
1) Solarinfos u. Kommentare 6/03   
2) (Salzburger Nachrichten, 1.7.03)

Seite drucken